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Ein Blick in die Zukunft

Was hat einem ein Zukunftsforscher zu erzählen? Am Dienstag, den 25. Oktober, hielt Lars Thomsen an der Hochschule Heilbronn einen Vortrag über die Zukunft. 520 Wochen, sprich 10 Jahre, ließ er uns in die Zukunft schauen. Thomsen hatte aufmerksame Zuhörer. Die Aula war voll. Etwas mehr als eine Stunde hörten alle gebannt einem Vortrag zu, der ohne eine einzige Folie auskam. Ohne Zweifel ist Thomsen ein geübter Redner, der sein Thema ausgezeichnet zu vermitteln und zu verpacken weiß!

Worüber er sprach? Sie hätten dabei sein sollen. Ich versuche eine grobe Zusammenfassung von vier "Megatrends", wie Thomsen sie nennt:

Die Rechenleistung von Computern wird sich weiterhin jährlich verdoppeln. In 10 Jahren sind die Desktops, Laptops, Netbooks, Tabs und Smartphones 1000x leistungsfähiger als die heutigen Geräte. Es wird das "Ende der Dummheit" einläuten. Computer werden uns ganz neue Helferlein sein, da sie beginnen, uns zu verstehen. Sie werden EMails mitlesen, eingehende Nachrichten geeignet sortieren, Anfragen teils selbstständig beantworten. Das brauchen wir dringend. Jedes Jahr steigt der Mailverkehr um 18%. Wir Menschen sind schon jetzt mit der Datenflut überfordert. Es wird mehr und mehr Programme geben, die ein primitives Verständnis haben von dem, was wir tun, was unsere Gewohnheiten und Wünsche sind. Und die werden dieses Verständnis nutzen, uns zu helfen.

Unser Umgang mit Energie wird sich vollkommen verändern -- schon aus reiner Notwendigkeit. Die fossilen Rohstoffe sind begrenzt. Schon immer hat es auf unserem Planeten ein Einlagern und Freigeben von Kohlenstoff gegeben. Das, was der Mensch jedoch an CO2 in kürzester Zeit auf dem Planeten freigesetzt hat, ist wohl einmalig in der Geschichte der Erde. Klimatische Grenzen werden sich verschieben, neue Vegetationsgebiete kommen auf. Der Umstieg auf alternative Formen der Energiegewinnung und -speicherung ist unausweichlich. In China werden Solarmodule produziert, die Preise für Photovoltaik sind dadurch allein in der Zeit von Januar bis September um 22% gefallen -- ein sich fortsetzender Trend. Gut möglich: Künftig mögen die Solarzellen billiger sein als Dachziegel. Die Speicherung von Energie wird in Form eines Smartgrids gelöst werden. Die intelligente, dezentrale Organisation von Energiezu- und abflüssen im Energienetz wird die zentrale Energieversorgung ablösen.

2016 wird ein Elektroauto so viel kosten wie ein Benziner. Elektroautos sind dem Treibstoffwagen in vielerlei Hinsicht überlegen. Ein Blick unter die Motorhaube offenbart eine Boardelektronik, die kaum mehr als drei Coladosen einnimmt. Die Bodenplatte wird mit Akkus aufgefüllt, was zudem den Schwerpunkt extrem tief legt und exzellente Fahreigenschaften garantiert. Schon jetzt sieht ein Porsche alt aus im Sprint gegen moderne Elektroautos. Das derzeit kostentreibende Element im Elektroauto sind die Akkus. Doch hier macht sich ein Preisverfall von 12% pro Jahr bemerkbar. Noch in diesem Jahrzehnt wird das Auto mit Verbrennungsmotor nur noch etwas für Enthusiasten sein. Wer das Röhren in seinen Ohren höhren will, wer das Zittern eines aufdrehendes Motors spüren möchte, der muss sich als Nostalgiker einen teuren Benziner oder Diesel leisten -- vermutlich als Zweit- oder Drittwagen.

Die Medizin hat längst nicht ihr Potenzial ausgereizt. Sie lässt sich reduzieren auf das "Schneiden und Zusammenflicken" und den Einsatz von Chemie. Es kommen derzeit im Wesentlichen 37 Grundsubstanzen in Medikamenten zum Einsatz. Der Rest ist Hoffnung. Die "Medizin 2.0" baut auf den Selbstheilungskräften des Genoms auf. Die Menschen haben es gelernt, die 770MB Erbinformation, die jede Zelle mit sich herumträgt, auszulesen. Nun geht es darum, die darüber kodierten Eigenschaften und Aubläufe gezielt zu nutzen. Ein Beispiel: Eine Firma schenkt schwerhörigen Menschen ihr Gehör zurück. Nicht durch ein Hörgerät! Die feinen Häarchen im Ohr, die für das Hören gebraucht werden, werden wieder zum Wachstum stimuliert. Dazu wird ein Stopp-Gen, das unbegrenztes Haarwachstum verhindert, gezielt ausgeschalter und später wieder eingeschaltet. Mit den nachgewachsenen Harchen hört es sich prima. Viele von uns durfen auf solche medizinischen Fortschritte hoffen. Die Lebenserwartung unter den lebenden Menschen (nicht also erst in einer späteren Generation), steigt pro Jahr um 3-4 Monaten. Wer künftig steinalt wird, wird sich gerne von der Medizin "frisch" halten lassen.

Spannend, nicht wahr?! Thomsen hat noch eine Menge mehr erzählt. Er sprach vom Versagen des Geldes, aber auch von dem, was uns Menschen auszeichnet: Wir sind soziale Wesen, das wird sich nicht ändern. Vermutlich werden wir neue Wirtschafts- und Arbeitsformen ausprobieren. Und was Studenten gerne hören mögen: Man wird sich später auf dem Berufsmarkt um sie reißen. Es wird einen Mangel an (aus)gebildeten Menschen geben. Selbst Länder wie China werden aggressiv Fachkräfte aus dem Ausland anheuern, um ihren Hunger nach wirtschaftlichen Wachstum zu stillen.

Ich habe keine Ahnung, ob sich die Zukunft so entwickeln wird. Vieles, was Thomsen erzählt, wirkt erschreckend plausibel. Wenn Sie diesen Blogbeitrag in 10 Jahren, also im Jahr 2021 lesen, dann werden Sie wissen, ob Thomsen nicht nur ein hervorragender Redner, sondern auch ein wirklich guter Zukunftsforscher ist.

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