Ich weiß etwas über Sie, das Sie nicht über sich wissen! Zum
Beispiel, ob Sie zu einem Informatik-Studium geeignet sind. Ich habe einen Test
entwickelt, der ist kurz und schmerzlos und ein Ergebnis jahrelanger Forschung.
Nach der Auswertung der Daten von über 10.272 Studierenden kann ich Ihnen mit
einer Sicherheit von 97,3% sagen, ob Sie ein Informatik-Studium abbrechen
werden oder nicht – und zwar bevor Sie mit dem Studium anfangen. Der Test kann
Ihnen die Fehlinvestition von ca. 17.400€ ersparen, sollten Sie zu den
Abbrechern gehören. Im Mittel erfolgt der Abbruch nach 14,3 Monaten.
Hier meine Fragen, anhand derer ich Ihnen Ihre Eignung für
die Informatik vorhersagen kann: (1) Ist Ihr rechter Zeigefinger so lang wie
Ihr rechter Ringfinger? Falls nicht: Welcher ist größer? Sollten Sie Linkshänder
sein, vergleichen Sie Zeige- und Ringfinger der linken Hand. (2) Wie lange
können Sie die Luft anhalten? (3) Wie ist Ihre letzte Mathematik-Note aus der
Schulzeit? (4) Wie lautet Ihr Vorname?
Das klingt absurd, nicht wahr? Und Sie werden sich innerlich
nicht wohl damit fühlen: Ihre Zukunft hängt von Antworten auf diese Fragen ab,
die so ohne jeden Bezug mit der Informatik zu sein scheinen? Ja, zugegeben, ich
habe dieses Szenario erfunden. Ich weiß nicht, mit welchen Fragen ich Ihr
Durchhaltevermögen für ein Informatik-Studium ermitteln kann. Aber so
vollkommen wahnwitzig ist mein konstruiertes Beispiel nicht. Qualitativ
unterscheidet sich der Test auf Eignung zum Informatik-Studium nicht von einem
Erkenner von Schad-Software.
Am 4. April vermeldete heise online, dass Adobe an einem
Erkenner für Schad-Software arbeite – die 30KB Python-Code zum Erkennerprogramm
liefert Adobe gleich mit (http://heise.de/-1500180).
Ein Erkenner für Schad-Software in 30KB? Neugierig geworden lud ich den Code
runter – und war fasziniert und abgeschreckt zugleich. In dem Code ist für
jeden offen zugänglich der Algorithmus kodiert, wie Adobe Schad-Software mit
einer Trefferquote von über 90% erkennen will. Hier wird scheinbar Klartext
geredet. Und dennoch ist der Code eine 753 Zeilen lange Ausgeburt an Hässlichkeit.
Sowas produzieren in der Regel Code-Generatoren. Man liest den Code und
versteht schlicht und ergreifend nichts. Wie kann das sein?
Als ich den verlinkten Artikel „Selecting Features to
Classify Malware“ von Karthik Raman las (http://infosecsouthwest.com/lectures.html#sftcm),
verstand ich, warum der Python-Code zwar nutzbringend aber unverständlich ist. Ausführbare
EXE-Files folgen unter Microsoft Windows einem besonderen, sogenannten
PE-Format (Portable Executable). Zu Beginn einer EXE-Datei kodiert das
PE-Format einige Metainformationen. Und die sind bei Schadsoftware statistisch
auffällig. Raman hat verschiedene Ansätze des maschinellen Lernen genutzt, um
einen Satz an kritischen Metainformationen zu identifizieren. Er nutzt diese Informationen
dann zur Vorhersage, ob es sich um Schadsoftware handelt. Dafür hat er 5193 „verseuchte“
Dateien und 3722 „saubere“ Dateien seinen Algorithmen vorgelegt. Im genügen
letztlich 7 Metainformationen. Ist die Datei „verseucht“ erkennt Raman anhand
dieser 7 Feature die Schad-Software zu 98,56% (true positives), „saubere“
Dateien stuft Ramans Erkenner zu 5.68% fälschlicherweise als schadhaft ein.
Obwohl Raman dieses Wissen als Python-Programm
veröffentlicht hat, bleibt der Code vollkommen unverständlich. Solange man
weder die untersuchten Ausgangsdaten noch die statistischen Verfahren und
Algorithmen kennt, kann man mit dem Code nicht viel anfangen außer ihn einzusetzen.
Es ist seltsamerweise eine Art der Preisgabe von Wissen, die nichts verrät.
Ähnlich ist es mit meinem Eingangsbeispiel. Man könnte eine Reihe von
objektiven Daten von Studierenden erheben und nach Klassifikatoren etc.
untersuchen, die Studienabbrecher auszeichnet. Meine hypothetischen Testfragen
wirken genauso sinnfrei und unverständlich wie der Python-Code, der
Schad-Software identifiziert. Und trotzdem könnte ein solcher Test über Ihren
Studienerfolg funktionieren mit genau solchen merkwürdigen Fragen.
Der Adobe-Ansatz begeistert mich. Aber sicher fühlen Sie
sich unwohl, ihren Studienerfolg als Kondensat einer statistischer,
maschineller Untersuchungen über Tausende Studierende hinweg eingeschätzt zu
wissen. Sind Sie nicht ein Individuum? Kann der Test nicht auch irren? Und wo
bitteschön sind die kausalen, die ursächlichen Zusammenhänge? Was spielt der
Vorname für eine Rolle, ob ich ein Studium abbreche oder nicht?
Das ist die bittere Pille, die es zu schlucken gilt, wenn
man nach statistischen Zusammenhängen in Daten sucht (Korrelationen), die aber
nicht notwendigerweise etwas über Wirkungsbezüge (Kausalitäten) verraten. Und
wenn Sie glauben, das sei schlimm, so irren Sie sich. Unsere Gehirne lernen
Korrelationen, wenn sie sich in der Welt orientieren und überleben wollen. *Warum*
man sich die Finger verbrennt, wenn man eine heiße Herdplatte anpackt, ist
nicht unbedingt notwendig zu verstehen für das Überleben. Die Tatsache *dass*
man sich die Finger verbrennt, das will im Zusammenhang mit einer Herdplatte
gelernt, gespeichert und in Zukunft vermieden werden. Primitive Lebensformen könnten
sich nicht entwickeln, wenn sie verstehen müssten, warum es links keine aber
rechts eine Menge Nahrung zu finden gibt. Und seien Sie mal ehrlich: Verstehen
Sie das Warum Ihrer Welt? Verstehen Sie, warum ein Fernseher funktioniert und
warum es einen Klimawandel geben soll? Es ist erstaunlich, mit wie wenig an kausalem
Wissen wir auskommen und uns dennoch wunderbar in der Welt zurecht finden.
Firmen wie Facebook, Google, Amazon, Twitter und viele
andere sammeln sehr viele Daten von den Nutzern ihrer Dienste. Und erst seitdem
es das Internet gibt, und erst seitdem so viele Menschen im Tausch für die
Dienstleistung ihre Daten bei diesen Anbietern lassen, erst seit dieser Zeit
ist die statistische Auswertung dieser Daten so interessant und wertschöpfend
geworden. Diese Firmen suchen täglich nach statistischen Merkmalen und
Auswertungen, die sich für verschiedenste Zwecke nutzen lassen. Google kann
z.B. anhand von Suchanfragen die Ausbreitung von Grippe-Epidemien vorhersagen.
Und Amazon schlägt Ihnen Buchtitel, die sie interessieren könnten, alles andere
als zufällig vor.
Das Brisante daran ist, dass diese Firmen Ihr Wissen über
uns Menschen als soziale, konsumierende Wesen ebenso Preis geben könnten, wie
Adobe das Python-Programm – und dennoch hätten die Firmen kein Geheimnis über
ihre Algorithmen und Verfahren verraten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass
Facebook – wenn das Unternehmen dies wollte – einen einfachen Fragekatalog
erstellten könnte, der den Erfolg von jungen Menschen in Schule, Ausbildung und
Studium vorhersagt; ähnlich wie ich Ihnen das eingangs vorgeführt habe.
Es gibt Firmen, die lassen Computer Twitter-Nachrichten
lesen zur Beobachtung von Trends und Katastrophen-Meldungen, die dann z.B.
einen Einfluss auf das Geschehen an der Börse haben. Auch hier lernen Maschinen
nach Korrelationen zu suchen, die keinem Menschen jemals auffallen würden. Auch
wenn wir lange nicht verstehen werden, wie diese Korrelationen zu erklären
sind, Maschinen sind längst dabei ein neues, bislang ungekanntes Weltwissen zu
generieren.
Ich habe einmal gelesen, dass die Suche nach in
Kampfsituationen belastbaren Elite-Soldaten ein aufwendiger, sich über Wochen
hinziehender Prozess ist. Amerikanische Wissenschaftler wollen festgestellt
haben, dass ein einfacher Bluttest mit hoher Zuverlässigkeit geeignete
Kandidaten herausfiltert und damit den teuren, langwierigen Auswahlprozess in
Teilen überflüssig macht. Im Blut lassen sich Stoffe ausmachen, die Auskunft geben
über die Fähigkeit, in Stresssituationen einen klaren Kopf zu behalten.
Trotzdem setzt die Army diesen Bluttest nicht ein, weil es nicht mit der
amerikanischen Wertekultur verträglich ist. Der Glaube an „Du kannst alles
erreichen, wenn Du es nur willst“ passt nicht mit einem Bluttest zusammen.
Darum wird man wohl auch in Zukunft auf einen Test
verzichten, der Ihre Eignung für ein Informatik-Studium voraussagt. Aber machen
Sie sich nichts vor: In den Rechenzentren von Facebook, Google, Amazon und Co. analysiert
man Ihre Daten und die anderer Menschen und sammelt Erkenntnisse über Sie, die
Sie nicht verstehen – die aber wirken. Weil man erstaunliche Dinge über Sie als
Wesen in der Masse Mensch aber auch als Individuum herausfindet. Sie wissen
vielleicht noch nicht, was Sie studieren wollen. Aber Facebook oder Google wissen
das möglicherweise schon und blenden Ihnen neuerdings Anzeigen ein, die Sie zum
Studium der Informatik an der Hochschule Heilbronn auffordern. Das wird aus
gutem Grund so sein. Tun Sie’s einfach ;-)