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Wie mich eine KI überzeugte, das Programmieren sein zu lassen

Als ich mit 13 oder 14 Jahren einen der ersten Schachcomputer in die Finger bekam, war ich hin und weg. Natürlich spielte ich so lange und intensiv mit der Kiste, bis ich jedes Spiel auf allen Spielstufen gewann. Ehrensache! Mensch gegen Maschine. Das gleiche Schicksal widerfuhr dem Mephisto. Es gab irgendeinen Programmierfehler, da ich in der Tunierstufe -- die sonst um gute Züge nicht verlegen war -- eine Folge aus sieben oder acht Zügen gefunden hatte, die das schwarze Rechenmaschinchen Schachmatt setzte.

Der Chess Champion Mark V machte meinen Schachfreunden und mir schon mehr Probleme. Manchmal mussten wir uns geschlagen geben, ein Sieg war längst nicht garantiert, man durfte sich keine Schnitzer erlauben. Man merkte, dass die Computer von Generation zu Generation besser wurden.

Und so erlosch auch allmählich meine Begeisterung daran, selber Schach zu spielen. Ich wollte stattdessen lernen, meinem Computer -- ich startete mit einem ZX81 -- das Schachspiel beizubringen. Es war schwer, an das dazu nötige Wissen zu kommen. Bruchstückhaft klaubte ich mir das Know-How in der Prä-Internet-Ära zusammen. Mein erstes Schachprogramm rechnete minutenlang und eröffnete das Spiel mit dem Zug "Springer g1-h3" -- das ist so ziemlich das Dümmste, was man mit seinem ersten Zug tun kann. Das Buch "Das große Computerschachbuch" aus dem Verlag Data Becker war eine Offenbarung. Ich lernte Algorithmen kennen, wie man Spielbäume durchsucht, wie man Spielstellungen bewertet usw.

Datei:Das grosse Computerschachbuch Cover.jpg

https://www.c64-wiki.de/wiki/Das_grosse_Computerschachbuch

Mit so einem Wissen bekommt man bis auf den heutigen Tag ein anständiges, aber kein exzellentes Schachprogramm hin. Die Kunst steckt in den Heuristiken, effizienter Programmierung, cleverer Datenkodierungen und in Techniken wie dem Nullzug und der Monte-Carlo-Tree-Search. Damit schraubt man die Spielstärke in die Höhe, man kann Meisterniveau erreichen. Jenseits dieses Niveaus ist es schwer, an die Weltklasse der Schachprogramme aufzuschließen. Dann wird es endgültig -- wie in jeder anderen Domäne auch -- zu einem Expertenwissen und -können, das viel Zeit und Hingabe verlangt. Man muss Datenbanken für Eröffnungen einsetzen (das ist noch relativ leicht), schwerer ist es, Endspiele, die den Sieg versprechen, auch wirklich in Siege umzuwandeln. Und die Komplexitäten des Mittelspiels verlangen nach unzähligen Ideen und Versuchen, die Schach-Engine mit all ihren Konfigurationsmöglichkeiten und Heuristiken anzupassen und zu tunen.

Letztlich basieren all diese Schachprogramme auf roher Rechengewalt (brute force). Sie rechnen systematisch zahllose Zugfolgen durch, vertiefen augenscheinlich aussichtsreiche Varianten, bewerten die Qualität der Stellung und des auf dem Brett befindlichen Materials. Je höher die Rechenleistung, desto besser das Schachprogramm -- so die simple Logik. Das hat damit zu tun, dass die Zahl der Spielverläufe mit der Suchtiefe drastisch, nämlich exponentiell zunimmt. In Folge wird es immer aufwändiger, den Suchhorizont, die "Denktiefe" zu erweitern. Und so ist es nicht verwunderlich, dass heutige Schachprogramme zwar Spitzenschach spielen, mittlerweile chancenlos für Menschen, doch es ist nicht so, dass diese Programme außerirdisch spielen würden. Mal blitzt ein Moment von Genialität durch, mal sind Menschen überrascht über die Qualität und die Stärke des einen oder anderen Zugs, aber es bleibt gekonntes Schach innerhalb der Dimensionen, die uns Menschen zugänglich ist.

Und dann kommt ein Programm namens AlphaZero von der Firma DeepMind, die sich Google einverleibt hat. AlphaZero nutzt die Simulation eines neuronalen Netzes; das sind Rechenvorgänge, die unserem Gehirn nachempfunden sind. Das Programm bekommt die Spielregeln für Schach einprogrammiert und trainiert dann gerade einmal keinen ganzen Tag im Spiel gegen sich selbst. Das neuronale Netz bringt sich selber bei, wie man erfolgreich Schach spielt. EINEN TAG LANG! Mehr nicht. Ganz allein mit sich selbst. Das kann hier nachlesen.

Das Ergebnis ist ein Schachprogramm, das das bis dahin weltbeste Schachprogramm (Stockfish, Weltmeister 2016) regelrecht zerlegt. AlphaZero spielt Schach, wie man es bis dahin noch nicht gesehen hat. Plötzlich wirkt das gegnerische Stockfish dieser Übermacht hilflos ausgeliefert. AlphaZero opfert früh Spielfiguren und erst allmählich beginnt man zu erahnen, mit welcher Raffinesse sich daraus eine derart starke Spielgestaltung eröffnet, gegen die Stockfish nicht ankommt. Analysen zeigen, dass Stockfisch das heranrollende Unglück nicht einmal erkennt. Es ist regelrecht blind für die Verständnistiefe, mit der AlphaZero die Figuren auf dem Brett bewegt.

Schaut man sich die ein oder andere Partie an (agadmator's Chess Channel kommentiert die Partien wunderbar), dann muss man erstaunt feststellen, dass AlphaZero alle gängigen Spieleröffnungen beherrscht -- wie die Analyse des DeepMind-Teams zeigt, hat AlphaZero sie in der Tat allesamt entdeckt, manch bekannte Variante allerdings wieder als untauglich verworfen, da letztlich verlustreich im späteren Spielverlauf. Diese Einsicht ist allen Schachspielern neu! Im Mittelspiel zeigt AlphaZero unbekanntes Können, macht ungewöhnliche Züge, die eine ganz andere Dynamik erzeugen als das, was Menschen so spielen. Das Endspiel scheint es auch perfekt zu beherrschen. Ein Könner, durch und durch, mit einer Spielart, die ungleich dem ist, was Menschen auf dem Brett zustande bringen -- und alle bisherigen Schachprogramme.
Wer hat es noch gesagt? Wir brauchen nicht mehr auf außerirdische Intelligenzen zu warten. AlphaZero zeigt uns, was außerirdisch ist.

So wie ich einst das Interesse am Schachspiel verlor, so wird sich mein Interesse an den Algorithmen, Tricks und Kniffen verlieren, mit denen man traditionell Schachprogramme (und andere Spiele) programmierte. Wozu bedarf es angesichts von AlphaZero noch der Programmierkunst, wenn ein neuronales Netz nach nur einem Tag im Spiel gegen sich selbst besser und überzeugender spielt, als es ihm ein Mensch per Programmanweisungen einzutrichtern vermöchte? Wozu braucht es jahrelanger Erfahrung, Expertise, Können, Wissen zu Algorithmen, wenn man von einer künstlichen Intelligenz (KI) mühelos übertrumpft wird?

Das Selbstverständnis und das Aufgabengebiet von Programmierern wird sich fraglos ändern. Wir werden KI-Programme aufsetzen, sie konfigurieren, sie trainieren und anschließend den Erfüllungsgrad, ihr Können vermessen müssen -- die Qualitätssicherung von KI-Programmen wird uns vor ganz neue Herausforderungen stellen und uns vermutlich einiges abverlangen an mathematischen Kenntnissen zur Datenanalyse, -interpretation und -darstellung. Eine andere Aufgabe wird sein, KI-Module untereinander zu verknüpfen und mit traditionellen Programmen zu koppeln. Künftige KI-Anwendungen werden aus einem Ensemble aus KI-Modulen zusammengesetzt sein. Kurzum, die Zukunft wird von einigen Informatiker(innen) ein weitaus höheres Ausbildungsniveau einfordern, weil es schwer sein wird, KI-Systeme zu entwickeln, die robust und tolerant zugleich sind.

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