Dienstag, 6. September 2016, ich bin in Berlin im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages. Die SPD hat zu einer Fachtagung geladen: Bildung in einer digitalisierten Welt, Twitter-Hashtag #BiDiWe16. Der Besuch ist frei, jeder kann teilnehmen, man musste sich lediglich vorher anmelden. Man konnte sich gar um die Durchführung eines Workshops bewerben.
Drüben, keine 200 Meter weiter im Reichstag läuft die Haushaltsdebatte; das Paul-Löbe-Haus und der Reichstag sind unterirdisch miteinander verbunden. Am Abend wird der Spiegel einen kleinen Videoauszug aus dem Plenarsaal bringen, wie Bundestagspräsident Lammert Kanzlerin Merkel rügt. Es sind diese absurden, vollkommen unwichtigen Momente, die mediale Aufmerksamkeit genießen. Ein Schlaglicht, wie schwierig es für die Politik ist, sich auf Sachthemen zu fokussieren.
Warum bin ich hier? Das Thema Bildung und Digitalisierung interessiert mich als Hochschullehrer. Aber das ist der vordergründige Anlass. Ich bin hier nicht zum Netzwerken, ich habe keine hohen Erwartungen. Ich will -- das ist mein Grund -- erleben und verstehen, wie politische Meinungsbildungsprozesse funktionieren. Die Tagung wird von Bundestagsabgeordneten der SPD-Fraktion durchgeführt, Organisatorin ist Saskia Esken. 300 Teilnehmer sollen gekommen sein, habe ich irgendwo gehört. Es ist bemerkenswert voll.
Sören Bartol begrüßt kurz, er liest eine Rede ab, spricht von der "Demokratisierung der Bildung", was mich aufhorchen lässt. Was damit wohl gemeint ist? Staatssekretär Loßack ringt in seiner Rede mit der Kürze der ihm gegebenen Zeit, den Titel seines Vortrags gänzlich ignorierend. Wir erfahren etwas über ein Entwurfspapier für die Konferenz der Kultusministerien. Prof. Handke aus Marburg übernimmt, fordert von der Lehre, die nächste Stufe der Digitalisierung im Hörsaal zu nehmen (von der Anreicherung zur Integration), und er identifiziert als Treiber die Studierenden. Ich würde ihm zwar in dem einen oder anderen Punkt widersprechen (ach, ich glaube, ich müsste mich mal direkt mit ihm unterhalten, Handke denkt sicher weniger plakativ als er der Pointierung wegen spricht), aber er ist engagiert, er brennt für digitale Lehre, er hat eine Botschaft. Das ist gut! Insgeheim wünschte ich mir, er hätte ernst gemacht und die Keynote geflippt -- das hatte sich in der Ankündigung des Programms als Möglichkeit angedeutet.
Dann die Workshops. Ich besuche Workshop 6: "Offen für alle? Das neue Selbstverständnis der Hochschule". Hätte ich nicht den Podcast der drei Referenten im Vorfeld gehört, mir wäre einiges unverständlich geblieben. Simone Raatz moderiert, das Zeitregiment ist streng. Unter diesem Druck bricht sich die Trivialisierung Bahn. Die Frage "Was ist eine offene Hochschule?" wird in den Raum gestellt und zur Diskussion frei gegeben. Man traut sich, man äußert sich. Meinungen. Ansichten. Eine wirkliche Diskussion ist das nicht, ein Dialog schon gar nicht. Und ich frage mich zum ersten Mal, was diese Tagung überhaupt bewirken und erreichen will. Wir eilen zur nächsten Frage. Ich wage gar nichts mehr beizutragen. Wäre auch nur eine Ansicht unter vielen. Die Zeit drängt -- und schon ist es vorbei.
Man kommt im Forum wieder zusammen. Dr. Wiarda moderiert, er gibt sein Bestes. Die Ergebnisse werden im Sinne eines "Elevator Pitchs" zusammengetragen. Ich bin ratlos, was ich mit diesen Fragmenten, diesen Gedanken in Gärung anfangen soll. Das Publikum darf sich mit kurzen Beiträgen beteiligen. Es wird teils emotional, das Thema bewegt, aber es sind wieder Meinungssplitter, die den einen oder anderen treffen oder in Deckung gehen lassen. Wiarda gelingt es, charmant Anküpfungspunkte, Beziehungen herzustellen. Doch die Zeit drängt, wir müssen zum Schluß kommen.
Saskia Esken, die Organisatorin, und Hubertus Heil, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, machen den Abschluß. Auf die Frage, was sie denn von dem Tage mitnehme, antwortet Esken: Man habe Menschen zusammengeführt, Erwachsenenbildung sei ihr im Fokus. Ich selber wüsste auch nicht viel mitnehmendes zu sagen. Heil, ganz Politikprofi, formuliert Forderungen und den Wunsch einer eintätigen 2/3-Mehrheit im Bundestag. Eine Reform des Urheberrechts, Aufwertung der Lehre an den Hochschulen -- ja, gut, aber das sind nicht wirklich Ergebnisse der Tagung, das bewegt ihn schon länger.
Ende. 16 Uhr, die Tagung ist vorbei.
Was habe ich über politische Meinungsbildungsprozesse gelernt? Erschreckend wenig. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass diese Veranstaltung gar nicht zum Ziel hatte, Meinungsbildungsprozesse voran zu treiben. Dazu blieb gar nicht die Zeit. Ich kann mir im Nachgang nicht einmal plausibel erklären, was die Zielsetzung dieser Tagung gewesen sein soll. Wollten sich SPD-Abgeordnete neue Impulse holen? Dieser Steinbruch, diese Fragmente, die Kürze -- das Format war dazu nicht geeignet. Ging es um Inhalte, um Erkenntnisgewinn? In diesem engen Zeitkorsett, das kaum mehr als das Ansprechen von Themen erlaubte, wohl kaum. Sollten sich die Teilnehmer vernetzen? Dazu war die Tagung eine sehr gute Gelegenheit. Aber was, frage ich mich, hat die SPD davon? Ging es um Dialog? Welcher Dialog, Dialog mit wem?, muss ich zurückfragen.
Will Politik gesellschaftliche Interessensgruppen zusammenbringen? Wann hat sie ein Interesse daran, wann nicht? Wie arbeitet Politik? Ist es das Aggregieren, Filtern, Auswählen, Abtesten und Ausloten von tragfähigen Stimmungen, Meinungsbildern in der Gesellschaft? Oder will Politik aus einer durchaus sich verändernden normativen Grundlage heraus nachdenken, entscheiden, vorgeben, Reibungspunkte liefern? Wahrscheinlich ist politisches Handeln ein Mix aus alledem -- und sicher kommen noch viele andere Ansätze dazu. Doch ich kann die Fachtagung der SPD in diesem Mix nicht einordnen und verankern.
Vielleicht mag mir jemand im Nachgang erklären, in welcher Zielsetzung sich die Veranstaltung verorten lässt.
Beeindruckt hat mich diese Präzision im Umgang mit der Zeit. Unsere Politiker scheinen meisterhaft darin zu sein, diese knappe Ressource wohlfeil auf- und einzuteilen. Und man zielt auf Ergebnisse. Aber der Zeitplan an sich ließ keine Freiräume, um auf dieser Tagung wenig mehr geschehen zu lassen als sich zu sehen, sich kennenzulernen, Kontakte herzustellen. Und die Ergebnisse mussten angesichts des Format mager bleiben.
Ich weiß nicht mehr, welcher Abgeordnete es sagte: Man könne die Sachen nicht selber tun, es ginge um die Vergabe und Lenkung von Geldmitteln, damit könne die Politik etwas in der Welt geschehen lassen. Das sollte ich mir merken! Und natürlich hat die Politik etablierte Prozesse, um Geldmittelvergabe zu reflektieren. Und vielleicht ist die gestrige Veranstaltung Teil dieser Reflektion. Und sie musste in der Kürze so sein und so professionell organisiert werden. Weil Politik eben so arbeitet.
Aber ich hätte es auch spannend gefunden, wenn die SPD experimentiert hätte mit den Mitteln und Werkzeugen, mit denen sich die Bildung -- wie übrigens auch die Wirtschaft -- in einer digitalisierten Welt konfrontiert sieht. Denn es geht deutlich mehr, als eine Twitterwall zu installieren. Wie wäre es, hätte man die Workshops ebenso wie die Keynotes radikal geflippt? Alle Teilnehmenden hätten sich vorbereiten müssen, was vielleicht ein Gewinn gewesen wäre. Wir hätten erlebt und erfahren können, wie ein gemeinsamer Lernprozess im Ringen um Erkenntnisse zur Bildung in einer digitalisierten Welt funktionieren könnte -- oder eben auch scheitert. Spannend wäre auch eine Vernetzung der Teilnehmer *vor* der Tagung gewesen. Man hätte Themen und Ansichten erarbeiten und auf der Tagung finalisieren können. Was wäre mit einem Barcamp-Format gewesen? Politik kann sicher mehr als Gelder verteilen, sie kann selber auch im Rahmen parteilicher Arbeit solche Experimente wagen und aus ihrem Alltag politischer Arbeitstechniken ausbrechen.
Und so will ich wenigstens das tun, was in einer digitalisierten Welt immer möglich ist: mit diesem Blogbeitrag als potenzieller Teilnehmer für einen Dialog bereit zu stehen.
Drüben, keine 200 Meter weiter im Reichstag läuft die Haushaltsdebatte; das Paul-Löbe-Haus und der Reichstag sind unterirdisch miteinander verbunden. Am Abend wird der Spiegel einen kleinen Videoauszug aus dem Plenarsaal bringen, wie Bundestagspräsident Lammert Kanzlerin Merkel rügt. Es sind diese absurden, vollkommen unwichtigen Momente, die mediale Aufmerksamkeit genießen. Ein Schlaglicht, wie schwierig es für die Politik ist, sich auf Sachthemen zu fokussieren.
Eine Tagung in den Grenzen der Zeit
Warum bin ich hier? Das Thema Bildung und Digitalisierung interessiert mich als Hochschullehrer. Aber das ist der vordergründige Anlass. Ich bin hier nicht zum Netzwerken, ich habe keine hohen Erwartungen. Ich will -- das ist mein Grund -- erleben und verstehen, wie politische Meinungsbildungsprozesse funktionieren. Die Tagung wird von Bundestagsabgeordneten der SPD-Fraktion durchgeführt, Organisatorin ist Saskia Esken. 300 Teilnehmer sollen gekommen sein, habe ich irgendwo gehört. Es ist bemerkenswert voll.
Sören Bartol begrüßt kurz, er liest eine Rede ab, spricht von der "Demokratisierung der Bildung", was mich aufhorchen lässt. Was damit wohl gemeint ist? Staatssekretär Loßack ringt in seiner Rede mit der Kürze der ihm gegebenen Zeit, den Titel seines Vortrags gänzlich ignorierend. Wir erfahren etwas über ein Entwurfspapier für die Konferenz der Kultusministerien. Prof. Handke aus Marburg übernimmt, fordert von der Lehre, die nächste Stufe der Digitalisierung im Hörsaal zu nehmen (von der Anreicherung zur Integration), und er identifiziert als Treiber die Studierenden. Ich würde ihm zwar in dem einen oder anderen Punkt widersprechen (ach, ich glaube, ich müsste mich mal direkt mit ihm unterhalten, Handke denkt sicher weniger plakativ als er der Pointierung wegen spricht), aber er ist engagiert, er brennt für digitale Lehre, er hat eine Botschaft. Das ist gut! Insgeheim wünschte ich mir, er hätte ernst gemacht und die Keynote geflippt -- das hatte sich in der Ankündigung des Programms als Möglichkeit angedeutet.
Dann die Workshops. Ich besuche Workshop 6: "Offen für alle? Das neue Selbstverständnis der Hochschule". Hätte ich nicht den Podcast der drei Referenten im Vorfeld gehört, mir wäre einiges unverständlich geblieben. Simone Raatz moderiert, das Zeitregiment ist streng. Unter diesem Druck bricht sich die Trivialisierung Bahn. Die Frage "Was ist eine offene Hochschule?" wird in den Raum gestellt und zur Diskussion frei gegeben. Man traut sich, man äußert sich. Meinungen. Ansichten. Eine wirkliche Diskussion ist das nicht, ein Dialog schon gar nicht. Und ich frage mich zum ersten Mal, was diese Tagung überhaupt bewirken und erreichen will. Wir eilen zur nächsten Frage. Ich wage gar nichts mehr beizutragen. Wäre auch nur eine Ansicht unter vielen. Die Zeit drängt -- und schon ist es vorbei.
Man kommt im Forum wieder zusammen. Dr. Wiarda moderiert, er gibt sein Bestes. Die Ergebnisse werden im Sinne eines "Elevator Pitchs" zusammengetragen. Ich bin ratlos, was ich mit diesen Fragmenten, diesen Gedanken in Gärung anfangen soll. Das Publikum darf sich mit kurzen Beiträgen beteiligen. Es wird teils emotional, das Thema bewegt, aber es sind wieder Meinungssplitter, die den einen oder anderen treffen oder in Deckung gehen lassen. Wiarda gelingt es, charmant Anküpfungspunkte, Beziehungen herzustellen. Doch die Zeit drängt, wir müssen zum Schluß kommen.
Saskia Esken, die Organisatorin, und Hubertus Heil, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, machen den Abschluß. Auf die Frage, was sie denn von dem Tage mitnehme, antwortet Esken: Man habe Menschen zusammengeführt, Erwachsenenbildung sei ihr im Fokus. Ich selber wüsste auch nicht viel mitnehmendes zu sagen. Heil, ganz Politikprofi, formuliert Forderungen und den Wunsch einer eintätigen 2/3-Mehrheit im Bundestag. Eine Reform des Urheberrechts, Aufwertung der Lehre an den Hochschulen -- ja, gut, aber das sind nicht wirklich Ergebnisse der Tagung, das bewegt ihn schon länger.
Ende. 16 Uhr, die Tagung ist vorbei.
Was habe ich gelernt über Meinungsbildungsprozesse?
Was habe ich über politische Meinungsbildungsprozesse gelernt? Erschreckend wenig. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass diese Veranstaltung gar nicht zum Ziel hatte, Meinungsbildungsprozesse voran zu treiben. Dazu blieb gar nicht die Zeit. Ich kann mir im Nachgang nicht einmal plausibel erklären, was die Zielsetzung dieser Tagung gewesen sein soll. Wollten sich SPD-Abgeordnete neue Impulse holen? Dieser Steinbruch, diese Fragmente, die Kürze -- das Format war dazu nicht geeignet. Ging es um Inhalte, um Erkenntnisgewinn? In diesem engen Zeitkorsett, das kaum mehr als das Ansprechen von Themen erlaubte, wohl kaum. Sollten sich die Teilnehmer vernetzen? Dazu war die Tagung eine sehr gute Gelegenheit. Aber was, frage ich mich, hat die SPD davon? Ging es um Dialog? Welcher Dialog, Dialog mit wem?, muss ich zurückfragen.
Will Politik gesellschaftliche Interessensgruppen zusammenbringen? Wann hat sie ein Interesse daran, wann nicht? Wie arbeitet Politik? Ist es das Aggregieren, Filtern, Auswählen, Abtesten und Ausloten von tragfähigen Stimmungen, Meinungsbildern in der Gesellschaft? Oder will Politik aus einer durchaus sich verändernden normativen Grundlage heraus nachdenken, entscheiden, vorgeben, Reibungspunkte liefern? Wahrscheinlich ist politisches Handeln ein Mix aus alledem -- und sicher kommen noch viele andere Ansätze dazu. Doch ich kann die Fachtagung der SPD in diesem Mix nicht einordnen und verankern.
Vielleicht mag mir jemand im Nachgang erklären, in welcher Zielsetzung sich die Veranstaltung verorten lässt.
Beeindruckt hat mich diese Präzision im Umgang mit der Zeit. Unsere Politiker scheinen meisterhaft darin zu sein, diese knappe Ressource wohlfeil auf- und einzuteilen. Und man zielt auf Ergebnisse. Aber der Zeitplan an sich ließ keine Freiräume, um auf dieser Tagung wenig mehr geschehen zu lassen als sich zu sehen, sich kennenzulernen, Kontakte herzustellen. Und die Ergebnisse mussten angesichts des Format mager bleiben.
Geld ist nicht alles, man könnte Experimente wagen
Ich weiß nicht mehr, welcher Abgeordnete es sagte: Man könne die Sachen nicht selber tun, es ginge um die Vergabe und Lenkung von Geldmitteln, damit könne die Politik etwas in der Welt geschehen lassen. Das sollte ich mir merken! Und natürlich hat die Politik etablierte Prozesse, um Geldmittelvergabe zu reflektieren. Und vielleicht ist die gestrige Veranstaltung Teil dieser Reflektion. Und sie musste in der Kürze so sein und so professionell organisiert werden. Weil Politik eben so arbeitet.
Aber ich hätte es auch spannend gefunden, wenn die SPD experimentiert hätte mit den Mitteln und Werkzeugen, mit denen sich die Bildung -- wie übrigens auch die Wirtschaft -- in einer digitalisierten Welt konfrontiert sieht. Denn es geht deutlich mehr, als eine Twitterwall zu installieren. Wie wäre es, hätte man die Workshops ebenso wie die Keynotes radikal geflippt? Alle Teilnehmenden hätten sich vorbereiten müssen, was vielleicht ein Gewinn gewesen wäre. Wir hätten erlebt und erfahren können, wie ein gemeinsamer Lernprozess im Ringen um Erkenntnisse zur Bildung in einer digitalisierten Welt funktionieren könnte -- oder eben auch scheitert. Spannend wäre auch eine Vernetzung der Teilnehmer *vor* der Tagung gewesen. Man hätte Themen und Ansichten erarbeiten und auf der Tagung finalisieren können. Was wäre mit einem Barcamp-Format gewesen? Politik kann sicher mehr als Gelder verteilen, sie kann selber auch im Rahmen parteilicher Arbeit solche Experimente wagen und aus ihrem Alltag politischer Arbeitstechniken ausbrechen.
Und so will ich wenigstens das tun, was in einer digitalisierten Welt immer möglich ist: mit diesem Blogbeitrag als potenzieller Teilnehmer für einen Dialog bereit zu stehen.