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Die Welt als Computer: relativ einfach, oder?

Zug fahren ist doch was schönes! Ich sitze da, schemenhaft rast die Landschaft in der Dunkelheit an mir vorüber, und dröge vor mich hin. Es ist nach 21 Uhr, ich bin müde. Es grübelt in mir. Genauer, das Radio in meinem Kopf düddelt vor sich hin. Der Sprecher in meinem Kopf labert mal dieses, mal jenes. Der redet immer so nett zusammenhangslos daher, wenn ich müde bin. Wahrscheinlich sind wir beide müde. Mal angenommen, vermeldet mein Radiosprecher im Kopf auf einmal etwas deutlicher und gähnt, mal angenommen, die Welt, das ganze Universum würde durch einen gigantischen Riesencomputer berechnet werden. Ein Supercomputer ließe all das hier ablaufen. Was dann? Müsste dann nicht -- denk nach, Junge -- ja müsste dann nicht; ja klar, dann ist die Rechenzeit begrenzt, endliche Ressourcen und so, und dann, dann müsste doch; ja ich glaube, dann ist die Relativitätstheorie doch eine notwendige Konsequenz daraus. Oder? Unglaublich!

Wie bitte? Wer hat da was gesagt? Mein Hirn kommt auf Touren. Moment mal, Radiosprecher, wie war das? Wie kommst Du darauf? Wir diskutieren ein Weilchen miteinander. Der Laptop muss raus. Aufschreiben. Gerade das einzige Mittel, den Radiosprecher da oben in einen einigermaßen strukturierten Dialog zu zwingen.

Also, nochmal von vorne. Nehmen wir einmal an, diese Welt, das ganze Universum würde durch einen gigantischen Supercomputer berechnet werden. Vielleicht ist das Universum selbst der Computer!? Egal. Wenn diese Maschine endliche Ressourcen hat, dann hat sie erstens einen endlichen Speicher und zweitens kann sie nicht beliebig schnell rechnen. Soweit wir das heute wissen, ist das Universum endlich. Macht Sinn. Dann passt das Universum in einen Speicher. Einen unvorstellbar großen Speicher, aber es geht vom Prinzip her. Abgehakt.

Doch was hat es mit der begrenzten Rechenkapazität auf sich? Ich denke, es könnte ungefähr so gehen: Der Supercomputer rechnet von einem Zustand des Universums den nächsten aus und daraus wiederum den übernächsten Zustand des Universums und so weiter. Wie in einem Film: Bild für Bild. Das gibt den Ablauf über die Zeit. Zeit vergeht, und es tut sich was in dem Universum, der Supercomputer rechnet. Nun greift der Supercomputer zu einem besonderen Kniff, um die Rechenzeit gut zu verteilen: Teile, Kollektive von Teilchen im Universum, die sich bewegen, also eine gemeinsame Geschwindigkeit haben, bekommen weniger Rechenzeit zugewiesen. Je schneller etwas wird, desto seltener wird der Zustand in diesem Teilsystem, in diesem Relativsystem, neu berechnet. Der Superrechner hat also ein Grundrechentempo für die Welt und alles, was sich in dieser Welt bewegt, bekommt als kleine Teilwelt seltener Rechenzeit zugewiesen, um den neuen Zustand in dieser Teilwelt zu berechnen. So verhindert der Scheduler, dass "schnelle" Teilwelten ihm mehr und mehr Rechenzeit abverlangen.

Was bedeutet das? Angenommen, Sie setzen sich in eine Rakete und fliegen schneller und schneller. Ziemlich schnell nach einer Weile. Da der Supercomputer Ihnen seltener Rechenzeit zuweist um Ihren neuen Systemzustand zu berechnen, vergeht bei Ihnen gewissermaßen die Zeit langsamer. Sie atmen langsamer, denken langsamer, altern langsamer. Sie selber bemerken das aber nicht. Für Sie selber läuft alles ganz normal ab. Sie merken nicht, wenn der Scheduler Sie seltener in der Zeit voranschreiten lässt. Wenn Sie dann, nach einer Stunde wieder auf der Erde landen, sind Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte dort vergangen. Da ging es "schneller" zu, der Supercomputer hat hier mehr Rechenzeit investiert.

Kennen Sie das woher? Ja, genau, die Relativitätstheorie macht genau solche Vorhersagen über unsere Welt. Und bisher scheint die Relativitätstheorie gut zu stimmen. Und wenn wir schon dabei sind: Was hat es eigentlich mit der Lichtgeschwindigkeit auf sich? Das ist die maximale Geschwindigkeit, mit der sich irgendwas in unserer Welt bewegen kann. Ahnen Sie was? Das ist die Geschwindigkeit, bei der der Supercomputer am Limit arbeitet. Wenn alle Teilchen im Universum sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, dann ist der Rechner ausgereizt. Schneller geht nicht. Die Lichtgeschwindigkeit als Ausdruck der begrenzten Rechenkapazität unseres Supercomputers. Und das Betriebssystem ist so gebaut, dass es kein Teilchen schneller als Lichtgeschwindigkeit transportiert, auch wenn gerade der Rest des Universums langsamer ist und Rechenzeit frei wäre. Der Supercomputer arbeitet konservativ. Jedes Teilchen bekommt das selbe Geschwindigkeitslimit, so dass, wenn alle die Geschwindigkeit voll ausfahren, der Supercomputer so gerade noch mitkommt. Man hätte das auch anders machen können. Aber der Superprogrammierer hat sich offenbar für diese Variante entschieden. Jedes Teilsystem, das sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, bekommt folglich keine Rechenzeit mehr zugewiesen. Kurzum: Wer sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, dessen Zeit steht still -- nur merken Sie das nicht. Der Scheduler kommt eben nicht vorbei, friert Ihren Lebenszustand ein und lässt Sie weder altern noch sonstwas. Der Rechner ist eben am Anschlag. Der kann Sie nicht mehr "weiterlaufen" lassen. Er setzt die Lichtgeschwindigkeit als Limit!

Ist Ihnen noch etwas aufgefallen. Der Scheduler weist uns nicht linear, also gleichmäßig, weniger Rechenzeit zu, wenn wir uns bewegen. Es ist offenbar ein Quantencomputer am Werk, der erst allmählich, bei sehr hohen Geschwindigkeiten, in der Nähe der Lichtgeschwindigkeit zu verzögern beginnt. Auch das ein Effekt, den die Relativitätstheorie vorhersagt.

Na, hat Ihnen dieser Unsinn auch so viel Spaß gemacht wie mir? Wenn das, was ich mir da mit meinem Radiospecher im Kopf zusammenphantasiert habe, auch nur einigermaßen stimmt, dann müßte sich aus der Relativitätstheorie tatsächlich ableiten lassen, was für eine Art Computer uns berechnet. Ist es wirklich ein Quantenrechner, wie ich es vor mich hinspinne? Oder ein traditionelles Multi-Prozessor-System? Auch über das Betriebssystem, den Scheduler und so, auch darüber müsste man eigentlich was rausfinden können. Sinngemäß: Läuft unsere Welt unter Windows, Linux, einem Echtzeit-Betriebssystem? Ich habe ja nur Vermutungen vor mich hingesponnen, aber es müsste sich aus der Relativitätstheorie ein ziemlich gutes Modell von diesem Supercomputer ableiten lassen. ... Hm, ich glaube, ich geh jetzt lieber schlafen und träum von meinem Supercomputer und dem Universum darin. Irgendwie bin ich mittlerweile zuhause angekommen, das Bett ist nicht fern. Alles ist relativ, nicht wahr? Wer hat das nochmal gesagt?

+++ schnarch +++

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